DIE GRUPPE
Marschierst du auch brav mit?
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Es war einmal eine Gruppe von Menschen, die gleichen Schrittes gemeinsam ihres Weges ging.
An jeder Weggabelung hielt sie an und ein paar besonders mutige Freiwillige mit angeborener Führungsqualität und einer extra Portion Machtstreben erklärten sich bereit, die Gruppe von hier aus weiter zu führen.
Dann stimmten alle darüber ab, wer der Glückliche sein durfte, der bis zur nächsten Weggabelung Richtung und Tempo, Essens- und Ruhezeiten und überhaupt Richtig und Falsch angeben durfte. Machte es der Erwählte während seiner Periode der Mehrheit recht oder zumindest mehr als die anderen Freiwilligen, durfte er diese Aufgabe nach der nächsten Abstimmung wieder übernehmen.
Es muss allerdings angemerkt werden, dass Rechtmachen nichts weiter bedeutete, als Ruhe zu gewährleisten und Veränderung bestmöglich zu verhindern.
So waren alle glücklich mit dieser Situation. Ein paar fühlten sich zu Menschenführern auserkoren und der Rest gehorchte und fühlte sich wohl darin, sich selbständiges Denken und Entscheidungen zu ersparen. Es war so unendlich praktisch, sich nicht kümmern zu müssen und es Tag für Tag gleich zu tun.
Und das System war gut so, denn so handhabten es die Menschen bereits seit vielen Jahren. Man stimmte zu, kritisierte manchmal, doch ließ sich auch schnell wieder von der Menge überzeugen.
Ein Leben wie im Paradies, unterbrochen nur von Gebeten, es möge niemals eine Krise über sie herein brechen, die sie aus ihrem Schlafwandeln wecken mochte.
Doch hin und wieder gab es einen Störenfried, der einfach stehen blieb und fragte: „Was tun wir da? Gibt es keine andere Möglichkeit? Vielleicht sogar eine bessere?“
Die Menge sah den Rebellen dann immer erschrocken an und befahl ihm ruhig zu sein oder aus der Gruppe auszusteigen. Normalerweise gehorchte man und marschierte von nun an still mit.
Warum diese Fragen, die immer wieder – manchmal auch nur ganz leise – gestellt wurden, nie beantwortet, sondern gleich nieder gedrückt wurden, ist nicht ganz klar. Vielleicht mochte sich niemand eingestehen, dass es eine bessere Lösung gegeben hätte? Vielleicht mochten sie auch nicht darüber nachdenken oder gar verantwortlich gemacht werden? Möglicherweise wussten sie die Antwort auch gar nicht.
Doch in jeder Generation stellten Kinder eine ähnliche Frage, deren Beantwortung aufgrund niedrigerer Erwartungen nicht so kompliziert war und das Weltbild der Gruppe nicht erschütterte. Deshalb wurde diese bereitwillig beantwortet, wenn die unwissenden Geschöpfe fragten: „Was tut ihr da?“
Da die Jüngsten lediglich ihre Neugierde stillen wollten und keinen Aufstand planten und die Erwachsenen bereits bestens bescheid über die Welt und ihr Funktionieren wussten und dieses langjährige Wissen auch an die nachfolgenden Generationen weitergegeben werden musste, um es aufrecht zu erhalten, antworteten die Erwachsenen und gaben den erhabenen Namen dieses perfekten Systems preis, indem sie stolz erklärten: „Das, mein Kind, ist Demokratie.“
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© Danny Lupp / www.himmelsrichtung.net
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