Irrtümer zur Spiritualität
20.06.2021
Immer wieder erlebe ich, dass die moderne Spiritualität
missverstanden wird und sich viele dadurch diesem Weg zu
innerer und damit auch äußerer Freiheit verschließen.
Nach zahlreichen Gesprächen erkenne ich als Ursache die unten
angeführten Hauptannahmen. Sie alle sind so nicht richtig und
haben ihren Ursprung darin, dass wir die sonst üblichen
einschränkenden Glaubensmuster automatisch auch auf die
Spiritualität anwenden, wo sie jedoch völlig fehl am Platz sind.
Irrtum 1: Spiritualität ist ein Modetrend
Die moderne Spiritualität ist eine Strömung, die vor allem seit der Hippiezeit rasant Fahrt aufgenommen hat, als man begann, sein Bewusstsein zu erweitern. In Wahrheit ist die Spiritualität aber die älteste Glaubensrichtung, die nur sehr lange in Vergessenheit geraten war beziehungsweise verfälscht weiter gegeben wurde, aber jetzt neuen Aufschwung erhält. Damit ist der irrtümlichen Annahme, es handele sich bei der Spiritualität um einen albernen Modetrend, gleich der Wind aus den einseitig betrachteten Segeln genommen.
Irrtum 2: Spiritualität ist eine Sekte
Diesen Irrtum können wir auch sofort ausräumen: „Sektenbildungen im Sinne einer Entstehung von dauerhaften sozialen Gemeinschaften aufgrund eines bestimmten dogmatischen Glaubens sind hier eher die Ausnahmen. Folglich ist es sachlich unsinnig, hier die üblichen sozialen Sektenklischees anzubringen: Es gibt keine Gehirnwäsche, keine religiösen Pflichten, keine sozialen Verbindlichkeiten, keine soziale Kontrolle, kein Love bombing und keine Probleme beim Ausstieg.“ (Willms: 123)
Das hätten wir geklärt – die Spiritualität erfüllt nicht die Kriterien einer Sekte.
Irrtum 3: Spiritualität ist eine Religion
Eine Religion hat Glaubensvorgaben. Der Spirituelle hingegen soll glauben und ausprobieren, was sich für ihn richtig anfühlt: „Glaubt nichts, was ich sage. Lebt es einfach. Erfahrt es. Und lebt dann jedwelches andere Paradigma, das ihr aufbauen wollt. Und seht euch danach eure Erfahrungen an, um eure Wahrheit zu finden. Eines Tages werdet ihr, wenn ihr sehr viel Mut habt, eine Welt erfahren, in der die Liebe mehr zählt als Krieg.“ (Walsch: 170)
Welche Religion sagt schon: Tut und glaubt, was ihr wollt? Das ist übrigens auch das Argument unserer hochgeschätzten traditionellen Kirchen gegen die moderne Spiritualität, da diese klare Grenzen für nötig halten. Nicht geführte Massen können außer Kontrolle geraten, da innere Reife und Gewissen nicht von selbst entstehen können, sondern sich erst durch drohende Strafen entwickeln.
Eine Religion möchte abhängig machen, gibt genaue Rituale und Regeln (Gebote) vor, die Spiritualität hingegen steht für Freiheit und Selbstverantwortung.
Nicht mal an einen Gott muss hier geglaubt werden. Manche möchten sich lieber an eine Göttin wenden oder an das Universum, eine große Energie oder das All-Eins-Sein.
Die Spiritualität ist mit jeder Religion kompatibel, wenn man diese auf seine persönliche Richtigkeit überprüft. Tatsächlich bezeichnen sich in unseren Breitengraden sehr viele Spirituelle entweder als Christen und/oder als Buddhisten, denn die Spiritualität war die eigentliche Lehre Jesu und Buddhas und auch aller anderen erleuchteten Propheten.
Spricht man über die Spiritualität, glauben andere automatisch, dass man sie missionieren möchte. Doch die Spiritualität braucht keine Mitglieder, um lebendig zu sein. Es hat sie immer gegeben, auch als niemand an sie geglaubt hat. Dass angenommen wird, man möchte überzeugen, liegt an der Herangehensweise traditioneller Religionen und Sekten, die stets auf Schäfchenjagd waren und sind. Der Spirituelle möchte helfen, nicht überreden. Es ist, als würde er jemandem, der sich beispielsweise am Finger verletzt und blutet, ein Pflaster empfehlen und ihm die Wahl lassen, weiter zu bluten und zu warten, bis es von selbst aufhört (und das wird es, ebenso wie jeder irgendwann zur Spiritualität findet) oder es schneller zu stoppen. Man möchte nur aufmerksam machen: Diesen Weg gibt es auch. Du bist mit deinem jetzigen nicht glücklich, also könntest du den anderen doch einfach ausprobieren und dir selbst ein Bild machen.
Irrtum 4: Spiritualität ist eine Philosophie
Wenngleich sich Spiritualität und Philosophie auf die Suche nach dem Sinn des Lebens begeben, handelt es sich um völlig verschiedene Herangehensweisen. Der Philosoph stellt Fragen und beantwortet diese mit Logik.
Der Spirituelle erinnert sich und begibt sich dafür auf eine seelische Reise in seinem Inneren. Dadurch ergeben sich für ihn Fragen, zu denen die Philosophie keinen Zugang hat, da sie nur innerhalb der Grenzen des Verstandes agiert.
Denn die Spiritualität ist keine äußere Wahrheit, sondern eine, die von innen kommt. Man kann sie nicht erfassen, obwohl sich ihre Wirkungen tatsächlich wissenschaftlich messen lassen, ohne dass man sie vollständig erklären könnte.
Und der Spirituelle handelt, sammelt Erfahrungen, integriert die Antworten aktiv in alle Bereiche des Lebens, wogegen sich der Philosoph nur um das reine Wissen ohne Erlebnisse bemüht.
Was ist dann die Spiritualität?
All das und noch viel mehr. Denn die Spiritualität ist kein getrennter Bereich, sondern greift in das gesamte Leben und den Tod. Tatsächlich ist sie sogar das Leben und der Tod. Denn sie ist unser wahres Wesen, nur gingen wir bei unserer Geburt durch den Schleier des Vergessens, der irgendwann, meist nach vielen Leben, aufreißt, wenn wir uns auf die Suche nach unserem Lebensglück machen.
Es handelt sich um die Suche nach der Wahrheit, durch die sich Transzendentes und Weltliches verbinden lassen. Es hat also eingeschränkt mit Religion und Philosophie zu tun, aber auch mit Psychologie, mit Wissenschaft und überhaupt mit jedem Bereich des Lebens. Spiritualität lässt sich nicht stoppen, nicht eingrenzen, nicht ausschalten. Sie ist immer präsent und mit ihr statt gegen sie zu arbeiten verhilft zur Freude.
Der erste Schritt von der unbewussten zur bewussten Spiritualität beginnt, wenn der Mensch aus der Herde, der er bisher gefolgt ist, aufsieht und mehr möchte. Er beginnt sich zu fragen, ob es nicht einen besseren Weg gibt. Lässt er sich darauf ein, fängt hier eine spannende Reise zu neuen Perspektiven, neuen Möglichkeiten und in der Folge zu seinem wahren Selbst an.
Die meisten sind der Ansicht, dass die Spiritualität ein Glaube ist – also Gedanken und Gefühle und man sich dementsprechend verhält, stattdessen handelt es sich um ein Erkennen, um das Bewusstsein. Es geht um Achtsamkeit und die Erweiterung des Fokus.
Literatur:
Walsch, Neale Donald. Gespräche mit Gott, Band 1. Ein ungewöhnlicher Dialog; Wilhelm Goldmann Verlag, 1997
Willms, Gerald. Die wunderbare Welt der Sekten: Von Paulus bis Scientology; Vandenhoeck & Ruprecht, 2012
© Danny Lupp / www.himmelsrichtung.net